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Lichtungen 169 Titel CS5

Gedichte

Holzer Abelina

 

 

 

 

 

stammbaum

 

unsere beziehungen

ziehen sich

über die erde

über jeden stein

jedes staubkorn

jeden baum

hinterlassen spuren

und abdrücke

ihrer selbst

 

wie flechten

bedecken sie

die orte

unserer begegnungen

wachsen

langsam

sind genügsam

und älter

als wir selbst

 

unsere erinnerungen

verfestigen sich

im inneren

unserer körper

verwachsen

verwurzeln

verkrusten

wachsen über uns hinaus

überwinden

die grenzen

des festgelegten

 

unsere geschichten

verflechten sich

jeden moment

neu

fädeln sich auf

werden vernäht

werden verwebt

zu wort teppichen

 

werden erzählt

 

in beziehung

zueinander

als erinnerung

voneinander

 

bewohnen uns

nähren uns

versöhnen uns

mit dem jetzt

und der endlichkeit

unserer selbst

 

an mutter natur,

mi tierra

 

wie unsichtbare fäden

weben sich deine schichten

durch mein rhythmisiertes leben

ich habe vergessen zu flechten

deine haare

offen

zerzaust vom wind

 

wie unsichtbare fäden

legen sich deine schichten

auf die einsamkeit meines lebens

ich habe vergessen zu weinen

deine arme

offen

ohne an wärme zu verlieren

 

unsichtbare fäden

zerren an meinem leben

wollen über-leben

ich habe vergessen zu weben

deine wolle

wird eins mit dir

 

an unsichtbaren fäden

hängt mein leben

ich habe vergessen zu knüpfen

deine knoten

gehen auf

in flammen

 

inmitten des rauchs

folge ich den rufen

alles vergessen

du flüsterst

deine worte brennen

 

inmitten des rauchs

laufe ich

habe vergessen

dein glühender körper

ächzt unter meinen schritten

 

es lichtet sich

unter meinen schritten

ich bleibe stehen

und sehe dich an

und du versuchst zu lächeln

 

meine kehle, trocken

wasser tropft

tropft

auf meine haut

und in dich hinein

 

regen

regen mischt sich

in meinen dich suchenden blick

unter der asche

deine schichten

 

ich sehe deine fäden

die alles durchweben

du bist da

 

du bist, was ich sehe

wenn ich nicht mehr da bin

 

 

Ich kann nicht nähen.

Wenn die Naht aufreisst,

kann ich nur zusehen.

Ich werde versuchen,

sie zu schließen,

damit nicht alles auseinander fällt.

 

Ich kann nicht nähen.

Ich nehme Sicherheitsnadeln.

Klingt doch vernünftig,

wenn alles droht, auseinander zu fallen.

Wer braucht schon Nadel und Faden,

wenn es Sicherheitsnadeln gibt?

 

Kannst du nähen?

Kannst du alles so zunähen,

als ob es es nie aufgerissen wäre?

Nur du weißt dann,

dass fast alles auseinander gefallen wäre.

 

Kannst du nähen?

 

Kannst du nähen, wenn meine Naht aufgeht?

 

Naht.

Es naht.

Du nähst.

Wir nähen.

Wir nähern uns.

 

Nachts.

Es näht.

Du nähst

Du näherst dich.

Wir vernähen uns.

 

Nähe.

Es nachtet.

Du nährst mich.

Wir sind umnachtet.

Wir nähren uns.

 

Nahrung.

Es nagt.

Du nagst

an mir.

Wir nähen

uns.

 

Nackt.

Nachtens.

Nadel.

Nacken.

 

Nägel treffen Nerven.

Nähe Narben zu.

 

Nachts

Nage Nadeln aus deinem Nacken.

Du

Nickst mir zu.

 

Nährt dich meine Naivität?

Oder näherst du dich nahtlos?

 

Nagt da etwas?

Nähst du etwas?

 

Nähen, ja, das kannst du.

 

Nähte platzen.

Nadeln vernähen

Neues

Narben wachsen

Zu

Nähe.

 

 

 

rosen in meinem garten.

 

rost in meinem garten.

rosenduft in meinem garten.

rostest du? in meinem garten.

 

ein fest in meinem garten.

 

du hältst fest an meinem garten.

befestige rosen in meinem garten.

du verfestigst dich in meinem garten.

 

rosenduft haftet an meinem garten.

 

du verrostet in meinem garten.

verfängst dich in den dornen

der rosen in meinem garten.

 

rosen blühen in meinem garten.

 

du verblutest an den dornen

der rosen in meinem garten.

deine haut wie der rost.

du ringst um luft.

ertrinkst in den rosen

in meinem garten.

und dabei

hatte ich dich gar nicht eingeladen

in meinen garten.

 

 

 

 

ich bin.

ich bin frau

ich bin mensch

ich bin säugetier

 

manchmal, da bin ich vampir

wach in der nacht

wandle von hals zu hals

probiere mund um mund

 

manchmal, da bin ich hexe

mache feuer und ziehe kreise im wald

spreche mit bäumen und

lerne von ihnen zu atmen

 

ich bin.

bin frau

bin mensch

bin säugetier

 

manchmal, da bin ich wölfin

bewege mich im rudel

besinge den mond

ständig auf jagd

 

manchmal, da bin ich der mond

betrachte die menschen von oben

und kann mir doch das lachen nicht verkneifen

über ihre versuche zu begreifen

 

ich bin.

bin frau

bin mensch

bin säugetier

 

manchmal, da bin ich kind

lasse mich ablenken

von jedem noch so kleinen stein

und lasse mich sein

 

manchmal, da bin ich königin

königin

meines körpers

nur ich vermöge

mich mit ihm zu schmücken

 

denn ich bin.

bin frau

bin mensch

bin säugetier

 

und reich

 

an leben

an liebe

an lust.

 

in kreisen von kreisen

 

ich denke mein leben in kreisen

also bin ich

 

teil des kreises

der sich formt

wenn ich

um mich kreise

 

ziehe kreise

tanze kreise

verliere mich im kreisen

um andere

 

wo beginnt mein kreis und

wo hört er auf?

wo fange ich an und

wo höre ich auf?

wann höre ich auf?

wann höre ich auf

mich zu einzukreisen?

 

weil ich

vor lauter kreisen

nichts mehr sehen kann.

kreise und kreise

um mich selbst

 

ohne mich.

 

verliere mich im kreisen

um mich

 

begebe mich

auf eine reise

ins zentrum meiner kreise

 

bewege mich in kreisen

von außen

nach innen

ziehe kleine kreise

immer kleiner

bis

ich aufhöre

zu kreisen

und still-stehe

genau hier.

in der mitte.

 

ohne die

gibt es keinen kreis.

 

 

 

Wir kennen die Worte, die fehlen.

Die so tun, als wären sie nicht da.

Wir sehen sie.

Sehen ihre Konturen aufleuchten.

Können sie nicht fassen.

Können es nicht fassen,

dass sie nicht über unsere Lippen kommen.

 

Diese Worte wohnen in uns.

Ohne Miete zu zahlen.

Sie verlassen ihr Zimmer nicht.

Sperren sich ein und werfen den Schlüssel aus dem Fenster.

Lange und oft lassen sie sich bitten,

um wieder nicht aus ihrem Zimmer zu kommen.

 

Diese Worte bewohnen uns.

Manchmal ein Leben lang.

Und wenn wir ganz still sind,

können wir den Boden knarzen hören,

über den sie schleichen.

 

 

 

08.

 

mein reim dein reim rein in den reim

 

ich mach dir einen reim

der sich gewaschen hat

ich mach dir einen reim

auf das leben

 

zusammengereimt ergibt das

einen nie enden wollenden reim

denn wir denken in reimen

wir fühlen in reimen

wir schlafen in reimen

wir träumen in reimen

 

wir denken in reimen

wir fühlen in reimen

wir schlafen in reimen

wir träumen in reimen

 

mein reim dein reim rein in den reim

 

wenn du sagst, es soll sich reimen

meinst du dann worte in deinem ohr

die ähnlich klingen?

oder meinst du, es sollte rund sein

und bestenfalls einen sinn ergeben?

 

auf rollen reimen

auf rädern reimen

in rinnen reimen

von sinnen reimen

 

mein reim dein reim rein in den reim

 

reine reime rinnen rauschende rinnsale runter

kreieren eckige eidechsen eier

erwecken kreativen schlaf

und lassen träume wahr werden

„ich glaub ich hab dich gestern gesehen, oder hab ich von dir geträumt?“

 

mein reim dein reim rein in den reim

 

und als ich da so mitten in den reim spring

spritzt die tinte zu allen seiten

hinterlässt flecken

der unbefleckten empfängnis

 

sie sind allein die geburt meiner phantasie

phantastische reime

nahmen mich mit auf eine reise

von der ich geschwängert zurück kam

 

in reimen brüten

in reimen gebären

in reimen kreieren

 

der kreis

schließt sich

und am ende

sind wir alle rund

 

 

 

Können sich Haare schämen?

 

Ist Scham ein Ort?

Oder eine Körperstelle?

So wie Kopf, Brust oder Achsel?

 

Für was muss ich mich schämen?

Meine Haare

Für wen muss ich sie entfernen?

Meine Haare

 

Für wen kann ich mich schämen,

der sich das ausgedacht hat?

 

Fremdschambereich.

 

Die Fremdheit dieses Bereichs beschämt mich.

Unverschämt, ihn so auszuklammern.

Beschämend, dass wir uns für etwas,

das immer schon da war

schämen sollen.

 

Ist Scham uns angeboren,

oder wurde sie uns aufgedrückt?

Woher kommt sie?

Wer hat sie erfunden?

Und weshalb?

 

Ich frage dich:

Schämst du dich für deine Haare?

Die doch so charmant den Bereich bedecken,

den es zu entdecken gilt.

 

Beschämend,

was wir alles unterdrücken,

weil wir uns dafür schämen.

Und schämen uns fremd

für andere, die das nicht tun.

 

Schützt Unwissen vor Scham?

Oder schützt Scham das Wissen?

 

Das Wissen darüber,

dass Scham uns umklammert,

indem wir Teile von uns ausklammern.

Beklommen, ganz benommen sind wir,

denn die Scham hat uns eingenommen,

umklammert uns fest.

 

Wir sitzen fest.

In der Festung der Scham.

Beschämt von uns selbst.

Und das Wissen

verharrt.

Bewacht von der Scham.

Sie hält uns in Zaum.

 

Ich frage mich:

Ist Scham ein Raum,

den ich verlassen kann?

 

 

 

(alles was man sich vornimmt, wird anders als man sich‘s erhofft.)

 

geboren in österreich, aufgewachsen zwischen den bergen, gelebt in wien, lebendig in graz,

zu hause überall da wo es wärme gibt.

von der sonne geführt, vom wind gezeichnet, flussabwärts gelebt, flussaufwärts geschwommen, bittere zeiten probiert, die süße gefunden.

karussell gefahren, kurven gehasst, bäume umarmt, harz geschmeckt, kleben geblieben, weiter gezogen, ehrlich gewesen, freunde verloren.

hinter büsche gekotzt, krach gemacht, kaputt gelacht, die stille genossen, wellen geritten, blumen gepflückt, trost gesucht, brot geklaut, zu viel geraucht, auf teppichen geflogen, zum äquator gezogen.

 

mein mut verschieden, meine meinungen auch, meine augen schlecht, meine hände klein, meine sehnsüchte still, meine tänze lang, mein herz groß, mein name selten.

seltsam geträumt, endlich wieder aufgeräumt, verkehrsregeln missachtet, papierschiffe gebastelt, mit entscheidungen gehadert, blödsinn gelabert.

jukeboxen bedient, fehler gemacht, sprachlos gewesen, lauthals gesungen, mit meinem verstand gerungen, räder geschlagen, in bäume geklettert, gegen den kapitalismus gewettert.

nie hohe schuhe getragen,

meine welt – voller fragen:

bin ich durchsichtig?

sind wir allein im universum?

kann ich singen?

weiß ich zu wenig?

wird jemals alles gut?

 

frühling gerochen, herbst gefühlt, in taschen gewühlt, mich als langweilig befunden, mit der erde verbunden, netze verwoben, möbelstücke verschoben, über mich selbst gelacht,

theater gemacht, himbeeren gepflückt, geküsst, getanzt, versucht zu nähen, fäden gerissen –

auch der geduld.

gläser zerbrochen, nach schweiß gerochen, fische gefüttert, ein vogel gewesen, zu wenig bücher gelesen.

die lasten anderer getragen,

meine welt – voller fragen:

gibt es gespenster?

schnarche ich?

ist der himmel für alle blau?

soll ich eine rauchen?

ist alles nur ein traum?

 

mit hunden den mond bejault, stundenlang nach sternschnuppen geschaut, aufs dach geklettert, kirschen gegessen und kerne gespuckt, in pfützen gesprungen, auf berge gegangen, in unsicherheiten gefangen, eine biene beerdigt.

haare verloren, wörter gefunden, die liebe genossen, und sie verflucht, mit geschlossnen augen fahrrad fahren versucht,

„ich werd taxifahrerin!“ mit sechs jahren sagen,

meine welt – voller fragen:

warum ist immer alles besser, was andere essen?

hab ich zu viel zeug?

hab ich was falsches gesagt?

hab ich alles richtig gemacht?

haben die über mich gelacht?

 

wände gestrichen, bella ciao gesungen, das meer umarmt, vorbilder gehabt, gezögert, gewartet, busse versäumt.

gelegenheiten auch.

allein ins kino gegangen, den ball nie gefangen, herzhaft geweint, bitterlich gelacht, zu viele fotos gemacht, ein kleines erdbeben verschlafen.

den roten faden verloren – ihn wieder gefunden, versunkene straßen im meer entdeckt, blätter zwischen buchseiten versteckt, spanisch gelernt, italienisch vergessen, salate gegessen, die zunge verbrannt, über ein fußballfeld gerannt.

begeisterte wort-witz-erzählerin, meisterin der würze, liebhaberin von bärten, erzfeindin von kümmel, sammlerin von wörtern, verfechterin der liebe.

 

etwas unbedingt gewollt, es nicht bekommen, nichts gewollt, vieles bekommen.

an grauen tagen

meine welt – voller fragen:

was mach ich hier eigentlich?

bin ich teil des systems?

bin ich zu langsam?

ist eigentlich eh alles egal?

hört mir wer zu?